50 Jahre Renault 4 – Jubiläum einer Legende

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Eine Automobil-Legende feiert 2011 ihren 50. Geburtstag: der Renault 4. Von der weltweit ersten Kombi-Limousine mit vier Türen, grosser Heckklappe und variablem Innenraum rollten von 1961 bis 1992 über 8 Millionen Exemplare vom Band. In der Schweiz stand der R4 von 1962 – 1987 im Verkauf und fand 84’683 Mal einen Käufer. Das radikal neue Konzept wurde mit seiner Plattformstrategie Vorbild für viele Nachahmer. Jetzt feiert der sympathische Franzose ein Comeback als Leinwandheld.

Frankfurt, 21. September 1961. Ausgerechnet hier, wo man Kompaktklasse damals mit Käfer übersetzt, schiebt Renault einen ungewöhnlichen Kleinwagen ins Rampenlicht. Der schlicht „R4“ getaufte Neuling ist revolutionär anders als seine Zeitgenossen und diesen in vielerlei Hinsicht weit voraus. Der R4 ist die weltweit erste Kombi-Limousine mit vier Türen, grosser Heckklappe, geräumigem Gepäckabteil und variablem Innenraum. Vor 50 Jahren setzt er mit diesem Konzept Massstäbe und kreiert einen Standard, der in den Grundzügen bis zum heutigen Tag Bestand hat. Der R4 ist auch der erste Renault mit Frontantrieb. Damit etabliert er die heute dominierende Antriebsart aller Modelle der Marke.

Das Konzept erweist sich als so genial, dass über die Jahre kaum Modifikationen erforderlich sind: Fast unverändert läuft der R4 31 Jahre lang vom Band. 8’135’424 Exemplare festigen den Ruf eines unverwüstlichen Bestsellers. Er wird in 28 Ländern gebaut und in mehr als 100 Staaten verkauft. Als meistverkauftes französisches Exportauto dient der R4 auch als wesentlicher Baustein für die beginnende Globalisierung von Renault. Studenten und Professoren lieben ihn gleichermassen; er ist Möbelwagen und Liebeslaube, Familienkutsche und Nutzfahrzeug. Abenteurer gehen mit ihm auf Weltreise.

Filmplakat: Der Renault 4 spielt eine Hauptrolle.
Filmplakat: Der Renault 4 spielt eine Hauptrolle.

Selbst im Rallyesport, nicht unbedingt als Domäne für den eher schwachbrüstigen Vierzylinder zu erwarten, schlägt sich der R4 wacker. Sein Debüt im Motorsport feiert er bei der Rallye Monte Carlo 1962. Sogar den legendären Wüsten-Marathon Paris–Dakar absolviert der Fünftürer klaglos – und wird Zweiter des Gesamtklassements. Der französische Komiker Jacques Tati setzt ihm im Kinoerfolg „Trafic“ ein filmisches Denkmal und zeigt einen praktischen Zusatznutzen: Auf dem heruntergeklappten Kühlergrill lässt sich im Stau eine warme Mahlzeit brutzeln. Und in der im Februar 2011 lancierten Kinokomödie «Nichts zu verzollen» von Dany Boon feiert der R4 im turbulenten Streifen an der belgisch französischen Grenze ein charmantes Comeback als Leinwandheld.

Provokation auf vier Rädern
In die beschauliche, höchst konservative Welt von 1961 platzt der R4 wie eine Provokation auf vier Rädern. Pierre Dreyfus, damals Vorstandsvorsitzender der Renault S.A., hat 1956 die zündende Idee, als er in der Zeitung einen Bericht über die demografische Entwicklung in Frankreich liest. Ihm ist sofort klar, dass ein Auto wie der R4 viele Menschen ansprechen würde und die Bedürfnisse unterschiedlicher Personen erfüllen könnte, von der jungen Familie bis zum Rentner-Ehepaar. Er fordert ein Auto, das wie eine «Bluejeans» Klassengrenzen überschreitet und sich unkompliziert für jede Gelegenheit eignet.

4L Sport

Dreyfus Auftrag an seine Entwicklungsingenieure ist radikal: Er stellt alle bislang üblichen Konstruktionsprinzipien infrage – das Vorgängermodell 4CV hatte Heckmotor und Hinterradantrieb – und löst damit intern heftigsten Widerstand aus. Doch die Vorgabe, mit völlig freiem Kopf und einem leeren Blatt Papier das Auto quasi neu zu erfinden, erweist sich als einzig richtiger Weg. Der R4 ist das erste Volumenmodell, das auf einem Baukastensystem mit Plattformstrategie basiert. Die Karosserie wird mit dem Rahmen verschraubt, deshalb lassen sich schnell und kostengünstig verschiedene Versionen realisieren: Neben der fünftürigen Limousine gibt es den nicht minder erfolgreichen Kastenwagen Fourgonnette, der nur einen Monat später vorgestellt und ab 1962 produziert wird. 1964 taucht erstmals der «Sinpar 4×4» mit Allradantrieb auf, zum gleichen Zeitpunkt gibt es auch einen praktischen Pick-up. 1965 wird der «R4» offiziell in «Renault 4» umgetauft. 1969 debütiert der «Plein Air», ein Cabriolet ohne Türen im Stil der damals modischen Dune Buggies, 1970 folgt das Freizeitmobil «Rodeo» mit eigenständig gestalteter Kunststoff-Karosserie.

Mit 1,55 Meter Höhe fast schon ein Kompakt-Van
Bei kompakter Aussenlänge – mit exakten 3.661 Metern ist der R4 rund zwei Handbreit kürzer als ein Renault Clio – bietet das Standardmodell Platz für fünf Erwachsene sowie deren Reisegepäck. Das Kofferraumvolumen von 255 bis 950 Litern kann sich auch heute noch sehen lassen. Vier Türen sind serienmässig, die grosse Heckklappe ebenfalls. Die üppige Gesamthöhe von 1,55 Metern (knapp weniger als beim Renault Scenic) ermöglicht eine aufrechte, bequeme Sitzposition und schafft so mehr Bewegungsfreiheit und Stauraum.

Der Renault 4 war seiner Zeit mit dem innovativen Konzept voraus. Er wurde ein grosser Erfolg.
Der Renault 4 war der Zeit mit seinem innovativen Konzept voraus. Er wurde ein grosser Erfolg.

Erstes Serienauto mit umklappbarer Rückbank
Ein völlig ebener Wagenboden und der Verzicht auf den Mitteltunnel erlauben vielfältige Innenraum-Variationen. Zudem ist der R4 das erste Serienauto, bei dem sich die Rückbank komplett zusammenfalten und nach vorn klappen lässt. Das Resultat ist ein gut nutzbarer, quaderförmiger Laderaum. Zwischen den Vordersitzen stören weder ein Schalt- noch ein Handbremshebel, so dass Mitfahrer leicht von links nach rechts durchsteigen können – nicht nur in engen Innenstadt-Parkbuchten eine höchst praktische Angelegenheit.

Möglich macht dies ein weiterer genialer Kniff: die vom Volksmund liebevoll «Revolverschaltung» getaufte Schiebestock-Betätigung des Getriebes. Im R4 lassen sich schon vor 50 Jahren die erstmals vollsynchronisierten drei Gänge bequem wechseln – ohne die Hand weit vom Lenkrad entfernen zu müssen. Das erhöht ganz nebenbei auch die Verkehrssicherheit.

Front-Mittelmotor-Prinzip und Einzelradaufhängungen hinten
Auch die Fahreigenschaften halten noch heute einem Vergleich mit modernen Modellen jederzeit stand. Dabei hilft dem R4 ein genialer Kniff: Sein kompakter Vierzylinder-Reihenmotor wurde weit in Richtung Wagenmitte nach hinten verschoben montiert. Es handelt sich um ein Front-Mittelmotor-Prinzip. Die Vorteile lassen sich im Wortsinn erleben Der ideale Schwerpunkt und die ausgewogene Gewichtsverteilung ermöglichen ein narrensicheres und gleichzeitig sportliches Fahrverhalten.

Einzeln aufgehängte Hinterräder – bei kompakten Fronttrieblern selbst heutzutage noch längst nicht selbstverständlich – verbessern zudem den Fahrkomfort und die Spurstabilität. Der R4 bleibt auch in zügig angegangenen Kurven lange neutral und überrascht seinen Piloten nie mit unangenehmen Fahrreaktionen. 1961 ist das sensationell – nicht nur im direkten Vergleich mit den «Heckschleudern» vom Kaliber eines VW Käfer, Simca 1000 oder Renault Dauphine, die damals den Kompaktwagenmarkt dominieren.

Überragende Zuverlässigkeit dank härtester Tests
Respekt verschafft sich der ungewöhnliche Franzose auch mit seiner überragenden Zuverlässigkeit. Sie ist kein Zufall, sondern resultiert aus dem umfangreichsten und härtesten Testprogramm, das jemals stattgefunden hat. Rund 2,9 Millionen Testkilometer unter anspruchsvollsten Bedingungen legen die Versuchsfahrer zurück – auch heute noch ein stolzer Wert. Die strapaziösen Touren führen den R4 in die kältesten Zonen Schwedens, auf die kurvenreichen Buckelpisten Sardiniens, quer durch Wüstengebiete in Afrika und über menschenleere Gegenden in den USA. Die Fahrer leben förmlich im R4 und nennen ihr Gefährt irgendwann liebevoll „Marie-Chantal“. 60 Autos aus der so genannten Nullserie gehen zusätzlich in weitere Härtetests, auch in die Hände ausgewählter Kunden. Auch dieses Vorgehen ist Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre noch ungewöhnlich.

Wenig Leistung zugunsten eines geringen Verbrauchs
Bescheiden bleibt der R4 in Sachen Motorleistung. Die Spanne reicht je nach Hubraum (747 cm3 bis 1.108 cm3) von 23 bis 34 PS. Das reicht auch für kommode Autobahnfahrten, worauf Renault Chef Dreyfus grossen Wert legt. Gut 120 km/h Spitze sind mit dem stärksten Triebwerk möglich. Gleichzeitig überzeugt der Vierzylinder mit hohem Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen (75 Nm bei nur 2.500 U/min) und geringem Kraftstoffverbrauch – eine bis heute zeitgemässe Auslegung. In den beiden Ölkrisen 1971 und 1973 schlägt die grosse Stunde des R4. Mit geringem Durchschnittsverbrauch (5,4 bis 6,5 Liter/100 km) bietet der R4 eine der preiswertesten Möglichkeiten, ein vollwertiges Auto zu fahren.

Der R4 als Oldtimer
Heute ist die Renault 4-Story noch lange nicht zu Ende. Auch zwei Jahrzehnte nach seinem Produktionsstopp lebt der fortschrittliche Franzose, oft mit großem Aufwand restauriert, fröhlich weiter (176 immatrikulierte Exemplare in der Schweiz). Er macht auf Oldtimer-Fernfahrten ebenso eine gute Figur wie bei der strapaziösen 4L Trophy von Paris nach Marrakesch. In jedem Fall erweist er sich als alltagstauglich, leicht zu reparieren und günstig zu unterhalten – wie vor 50 Jahren.

Vom 15. bis 17. Juli 2011 findet das 3. «4L International»-Treffen in Thenay, rund 2 Stunden südlich von Paris, statt. Das Treffen ist die Gelegenheit mit der R4-Familie zusammenzukommen und den 50. Geburtstag des legendären R4 ausgiebig zu feiern. Die Teilnehmer erwartet ein grandioses Programm. Weiter Infos zu diesem Anlass auf www.4linternational.com

RENAULT 4 in der Schweiz
Baujahr / Verkaufsvolumen  / Preis ab
1962         1896                  Fr. 4990.00
1963         2241
1964         1995
1965         2595                  Fr. 4790.00
1966         2870
1967         4243
1968         4681
1969         4999
1970         5107                   Fr. 5250.00
1971         4491
1972         4850
1973         3888
1974         4856
1975         3816                   Fr. 7600.00
1976         4480
1977         3796                   Fr. 7877.00
1978         5013                   Fr. 8250.00
1979         4504
1980        4093                   Fr. 7990.00
1981         3094
1982         2517
1983         1867
1984         1354
1985         1007                   Fr. 8995.00
1986         403                     Fr. 9190.00
1987         27
Verkaufstotal Renault 4 in der Schweiz: in 26 Jahren         84’683 Einheiten

Comments (1)

MarcJuni 6th, 2011 at 17:03

Hallo,

„50 Jahre Renault 4 – Jubiläum einer Legende“, bin ich ganz deiner Meinung. Die Bilder und die beiden Videos haben es mir angetan. Ich möchte ja nich angeben, aber ich selber fahre das Renault Megane Coupe-Cabriolet. Ein schickes Auto…

Grüße

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