0,9-Liter-Auto von Volkswagen – Geniestreich oder Mogelpackung?

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Bei Volkswagen liebt man es, im Scheinwerferlicht zu stehen und sich feiern zu lassen. Der grosse Häuptling Prof. Dr. Ferdinand Piëch, liess sich schon am Anfang des Jahrhunderts in einem sogenannten  1-Liter-Auto ablichten. Jetzt haben die Deutschen ausgerechnet im Öldorado Katar erstmals einen weiteren Prototypen dieser Machart gezeigt, den Volkswagen Formel XL1. Er soll nur 0,9 l/100 km verbrauchen.So weit, so gut. Die Mobilität der Zukunft ist eines der spannendsten Themen unserer Zeit. Und man soll durchaus Träume haben und es ist auch schön, dass Konzerne, die es sich leisten können, grosse Summen investieren, um die Mobilität in neue Bahnen zu lenken.

Dass nun Volkswagen aber die Welt glauben macht (und gewisse Medien ohne Fragen zu stellen samt Expertenmeinungen auf diesen Zug aufsteigen), man könne schon bald ein 1-Liter-Auto kaufen, ist extreme Augenwischerei. Dies wenige Tage nachdem man mit Millionenaufwand im hohen zweistelligen Bereich mit dem Race-Touareg, der in der Wüste locker mal 30 Liter/100 km schluckt, die Dakar gewonnen hat.

Der XL1 ist zweifellos ein geniales Konzept, das sicher auch funktioniert. Die 0,9 Liter/100 km sind aber mit grosser Vorsicht zu geniessen und nur unter beinahe Laborbedingungen nachvollziehbar. Sie sind nur auf einer extrem defensiv gefahrenen Normrunde (ohne Schweizer Topografie) und unter Ausnutzung der vorher vollgeladenen Batteriekapazität möglich (ermöglicht bis 40 km rein elektrisches fahren). Im richtigen Leben dürfte der Verbrauch wesentlich höher ausfallen.

Die plakative Botschaft vom Schweizer Fernsehen in 10vor10, man könne mit dem XL1 mit einer Tankfüllung (10 Liter) von Bern nach Neapel (1130 km) fahren, ist barer Unsinn und weckt völlig falsche Erwartungshaltungen. Nur die ersten 100 Kilometer können theoretisch mit 0,9 Liter/100 km gefahren werden, weil die ersten 40 davon noch mit (beispielsweise Atom-) Strom gefahren werden!

Es wurde auch kein Wort über den Zeitrahmen einer Serienfertigung und kein Wort über den Preis des 1-Liter-VW gesagt. Zum Zeitrahmen: Vom ersten 1-Liter-Auto von 2002 ist das neuste Modell in der Ausgereiftheit der Technologie und in der Tiefe der Fertigung zwar deutlich weiter, nicht aber in der Alltagstauglichkeit. Bis zu einer Serienfertigung werden noch viele Jahre durchs Land gehen. Und noch weniger im Preis. All diese Leichtbauteile sind noch immer horrend teuer. Ein Race Touareg, wie er bei der Dakar triumphierte, kostet weit über eine Million Euro. Einen handgefertigten Prototypen wie der Volkswagen XL1 muss man mit rund drei Millionen Euro beziffern.

Auch bei einem in Serie produzierten XL1 müsste man tief in die Tasche greifen. Auch wenn dieser gegenüber dem Prototyp wie üblich markant pragmatischer daherkommen würde (z Bsp. ohne Flugeltüren). Nach heutigem Produktionsstand wären da klar mehr als 100’000 Euro fällig. Würden Sie 150’000 Franken bezahlen für ein Auto, das nur zwei Sitzplätze hat und deutlich weniger kann als ein – bleiben wir bei VW – Polo, der für 25’000 Franken viel mehr kann und sich mit rund 4,5 Liter/100 km ebenfalls sparsam bewegen lässt?

Nun wollen wir uns aber doch noch der faszinierenden Zukunfstechnik des XL1 widmen. Der 1-Liter-VW, pardon 0,9-Liter-VW verfügt über (Monocoque und Anbauteile aus kohlefaserverstärktem Kunststoff), perfekte Aerodynamik (Cw = 0,186) und ein Plug-In-Hybridsystem – bestehend aus einem Zweizylinder-TDI-Motor (35 kW / 48 PS und 120 Nm) mit 0,8 Liter Hubraum, E-Motor (20 kW / 27 PS), 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe (DSG) und Lithium-Ionen-Batterie.

Da als Plug-In-Hybrid konzipiert, kann der Prototyp des XL1 zudem über eine Distanz von bis zu 40 Kilometern rein elektrisch und damit emissionsfrei gefahren werden. Aufgeladen wird die Batterie an herkömmlichen Stromanschlüssen. Via Rekuperation (Bremsenergierückgewinnung) lädt sich der Akku zudem beim Bremsen auf – der Elektromotor fungiert in diesem Fall als Generator. Der Zweizylinder TDI nutzt Grossserientechnik und sitzt mit dem kompletten Antriebspaket im Heck, wo es die Hinterräder antreibt: Der 0,8-Liter-TDI ist salopp formuliert ein halbierter 1,6-Liter-Golf-Motor (Gewichtsverteilung??).

Der neue XL1 ist 3,89 Meter lang, 1,67 Meter breit und nur 1,16 Meter hoch. Ein Polo misst in der Länge 3,97 Meter und in der Breite 1,68 Meter, ist aber deutlich höher (1,46 Meter). Die Karosserie besteht in weiten Bereichen aus dem ebenso leichten wie stabilen carbonfaserverstärkten Kunststoff (CFK). Der Prototyp des XL1 wiegt 795 Kilo. Davon entfallen 227 Kilo auf die komplette Antriebseinheit, 153 Kilo auf das Fahrwerk, 80 Kilo auf die Ausstattung (incl. zwei Schalensitze) und 105 Kilo auf die Elektrik. Bleiben 230 Kilogramm für die Karosserie mitsamt Flügeltüren, Windschutzscheibe in Dünnglas sowie dem aus dem Rennsport bekannten, hochsicheren Monocoque. Insgesamt 21,3 Prozent des XL1 respektive 169 Kilogramm bestehen aus CFK. Darüber hinaus setzt Volkswagen für 22,5 Prozent aller Teile (179 Kilo) Leichtmetalle ein. 23,2 Prozent (184 Kilo) gehen auf das Konto von Stahl- und Eisenwerkstoffen. Und wo bleibt der Kofferraum?

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